Demokratiefördergesetz nur mit uns!

Stellungnahme des Bundesverbands Netzwerke von Migrant*innenorganisationen e. V. (NeMO) zum Diskussionspapier des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) für ein Demokratiefördergesetz.

Wir als Bundesverband Netzwerke für Migrant*innenorganisationen e. V., begrüßen und unterstützen die Initiative zum Beschluss eines Demokratiefördergesetzes. Wir stehen jederzeit zur Verfügung, um bei der Implementierung der Vorhaben mitzuwirken. 

Der Einbezug migrantischer Sichtweisen und Bedürfnisse bei der Ausgestaltung der geplanten Maßnahmen ist aus unserer Perspektive essentiell für den Erfolg des Gesetzes. Vor diesem Hintergrund ist es uns ein großes Anliegen, zu diesem Papier als Stimme der Migrant*innenorganisationen, der BIPoC und der Diaspora Stellung zu beziehen. 

Wir begrüßen das Ziel, gesetzliche Rahmenbedingungen für eine funktionierende, lebendige und demokratische Zivilgesellschaft zu schaffen. Doch die Stärkung der dieser Strukturen im Sinne einer demokratischen Streitkultur kann nur gelingen, wenn die Eindämmung von demokratiefeindlichem, diskriminierendem und menschenrechtsverletzendem Gedankengut als oberstes Staatsziel formuliert wird.

Gleiches gilt für die aktive Förderung von Teilhabe- und Chancengerechtigkeit sowie Maßnahmen zur Inklusion. Im Rahmen dessen sollte der Gesetzestext dezidiert die Gewährleistung einer angemessenen Finanzierung beinhalten.

Es ist richtig, dass Diskriminierungsformen wie Antisemitismus und Rassismus ausreichende Berücksichtigung im Papier finden. Aber: Auch intersektionale Diskriminierung ist als Problem stärker hervorzuheben. Getroffene Menschen sind besonders hoher Belastung ausgesetzt, weshalb gerade die Stärkung von Menschen, die multipler Diskriminierung ausgesetzt sind, größere Beachtung im Gesetzestext finden muss.

Die Geschichte zeigt, wie schwer die Folgen einer gespaltenen Zivilgesellschaft wiegen. Das Resultat waren und sind die unverzeihlichen und unmenschlichen Verbrechen vor allem des 20. Jahrhunderts, von denen sich auch Folgegenerationen nicht befreien können.

Unsere Anregungen zu den wesentliche Regelungselementen:

Zu 1. Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für den Bund

Im Zusammenhang mit der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage muss die Arbeit zu Migration ein fester Bestandteil sein, der auch in der Zukunft nicht fehlen darf. Als Einwanderungsland und Migrationsgesellschaft spielt die Herstellung von diskriminierungskritischer Migrationsarbeit eine bedeutsame Rolle. Sie muss sich unter anderem mit der Aktivierung demokratischer Werte befassen und diese praktisch ausgestalten.

Eine der größten Herausforderungen sehen wir in der Wissensvermittlung: Es bedarf Informations- und Bildungsangebote, bei denen der niedrigschwellige und diskriminierungsfreie Zugang für Migrant*innen gewährleistet ist. Viele Getroffene sind nicht ausreichend über demokratiepolitische Bildungsangebote und Teilhaberechte informiert – das muss sich ändern. Daher ist es für uns wichtig, dass alle Migrant*innenvertretungen auf Bundes- sowie auch auf Landesebene in die Bedarfsanalyse und Gesetzgebungsprozess eingebunden werden. 
Bisher wurden nur in wenigen Bundesländern kommunale Migrant*innenvertretungen eingerichtet. Die Teilhabemöglichkeiten der genannten Institutionen müssen gesetzlich verankert werden.

Zu 2. Sicherstellung einer angemessenen Finanzierung nach Maßgabe des jeweiligen Haushaltsgesetzes

Insbesondere im Zusammenhang mit der Finanzierung erleben viele zivilgesellschaftliche Akteur*innen Probleme. Befristete Kostenpläne und bürokratische Hürden sorgen dafür, dass keine nachhaltige und langfristige Arbeitsplanung entstehen kann. Um dem Ziel des Gesetzesvorhabens der nachhaltigen Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Staat und demokratischer Zivilgesellschaft näher zu kommen, ist eine programmunabhängige, entfristete finanzielle Unterstützung elementar.

Zu 3. Ermöglichung einer bedarfsorientierten, längerfristigen und altersunabhängigen Förderung

Zu 4. Festlegung des Adressat*innenkreises der Förderung und der Fördervoraussetzungen

Grundsätzlich begrüßen wir das Vorhaben der Ermöglichung von nachhaltigen Förderungen – doch es bedarf weiterer Maßnahmen. Ehrenamt spielt bei zivilgesellschaftlicher Arbeit eine wichtige Rolle. Es müssen allerdings auch Anreize gesetzt werden, sodass ehrenamtliches Engagement mehrere Vorteile in sich vereint. Nur eine Idee: Steuerbegünstigungen könnten mit ehrenamtlichen Aktivitäten einhergehen, die demokratische Werte stärken wollen. 

Außerdem wäre es vorteilhaft, wenn direkte Beteiligungsformate für Einwohner*innen zur Stärkung demokratischer Grundwerte vor Ort dezidiert anvisiert würden. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise die Bereitstellung geringfügiger finanzieller Mittel für die Umsetzung kommunaler Projektaktivitäten zur Demokratieförderung und zivilgesellschaftlichen Empowerments, die von engagierten Einwohner*innen und auf regionaler Ebene umgesetzt werden.

Dies wäre außerdem eine Chance für alle Einwohner*innen vor Ort, sich zu beteiligen und regionale Bedarfe aktiv mit einzubringen. Dieser Input wäre enorm nützlich, um dann wiederum in die bedarfsorientierte Schaffung überregionaler Strukturen einwirken zu können.

Zu 5. Ausführung des Gesetzes, Zusammenarbeit

In der Weiterentwicklung partizipativer Formate, die ein zeitgemäßes, pluralistisches Demokratieverständnis vermitteln, sehen wir großes Potenzial: Sie können die Selbstwirksamkeit der Einwohner*innen nachhaltig stärken. Durch die Schaffung von transparenten Mitsprachemöglichkeiten sehen wir eine Chance, die Zivilgesellschaft aktiv einzugliedern und zu stärken. Solche positiven Einflussnahmen ließen sich beispielsweise in Form von Konsultationen zwischen Bund und Verbänden realisieren. Auch die Etablierung von Gremien wie etwa eines Partizipations- oder Demokratierates oder der aktiven Einbeziehung marginalisierter Gruppen wäre eine solche Möglichkeit.

Klammer drum: Es ist wichtig, die Konzipierung der Angebote so zu gestalten, dass sie nicht nur ein gewisses Fachpublikum erreichen. Zusätzlich zu den facettenreichen Bildungsformaten der Bundeszentrale für politische Bildung sollte der Fokus auf zielgruppenspezifischer Wissensvermittlung liegen. Für uns ist es überaus bedeutsam, vor allem Einwohner*innen zu erreichen, die wenig Zugang zu außerschulischen und demokratiefördernden Bildungsformaten haben.

Zu 6. Wissenschaftliche Begleitung und Evaluierung der Fördermaßnahmen
Aus unserer Sicht sollte die fachliche Einordnung und Bewertung der Fördermaßnahmen in einem Zusammenspiel zwischen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und wichtigen Migrant*innennetzwerkstrukturen geschehen. Wir sehen großes Potenzial in der Zusammenarbeit mit bereits vorhandenen wissenschaftlichen Ressourcen bundesweiter Netzwerke von zivilgesellschaftlichen Einrichtungen.

Für uns wäre es eine positive Entwicklung, wenn ein praxisorientierter und wissenschaftlicher Arbeitsstab etabliert würde. Dabei sollte ein regelmäßiger sowie handlungsorientierter Austausch zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen auf Bundes- und Länderebene gewährleistet sein. So ließen sich gezielt langfristig wertvolle Handlungsoptionen für Bund und Länder erarbeiten.

Unsere konkreten Forderungen lauten:

  1. Migrant*innenorganisationen sollten bei der Entwicklung des Gesetzes einbezogen werden – auf eine Weise, dass die Interessen und Anliegen der Organisationen befriedigt werden. Ein starkes Gesetz zeichnet sich durch seine Inklusivität aus. Aus diesem Grund sollte die Expertise von Mitgliederorganisationen zu Rate gezogen werden.
  2. Schaffung von institutionellen Fördermechanismen für Migrant*innenorganisationen, die seit mehreren Jahrzehnten kostenlose ehrenamtliche Arbeit für die Stärkung der Demokratie leisten. Für die Nachhaltigkeit und Planungssicherheit von Migrant*innenorganisationen ist die finanzielle Förderung essentiell.
  3. Eine starke Demokratie zeichnet sich durch die Schaffung von umfangreichen Partizipationsmöglichkeiten für alle aus. Aus diesem Grund fordern wir ein Wahlrecht für Menschen mit einem Pass, der nicht aus Deutschland oder der Europäischen Union stammt – zumindest bei den Kommunalwahlen.