Diana Chico Alvarez von NeMiB e. V. (Netzwerk Migrantenorganisationen Brandenburg)

Diana Chico Alvarez ist Filmproduzentin aus Ecuador. Sie ist Projektkoordinatorin beim Netzwerk Migrantenorganisationen Brandenburg e. V. (NeMiB). Im Interview berichtet sie von spannenden Projekten und Teilhabechancen in Brandenburg.

1. Liebe Diana, bitte stell dich und deinen Verein kurz vor. Was bewegt Dich, mitzumachen?

Ich heiße Diana Chico Alvarez und komme aus Ecuador. Von Beruf bin ich Filmproduzentin und habe bereits mehrere audiovisuelle Projekte realisiert. Ich bin ein Fan von Dokumentarfilmen. Sie eignen sich sehr gut dazu, persönliche Geschichten von Menschen zu erzählen. Ich habe in Mainz studiert und kam anschließend nach Berlin. Hier habe ich angefangen, mich sozial zu engagieren. Da ich selber Migrantin bin, beschäftigte mich das Thema Migration sehr. Ich wollte mehr über Menschenrechte und Teilhabe erfahren. Damit ich meine Fähigkeiten einsetzen und weiterentwickeln kann, habe ich die Koordination beim NeMiB e. V. übernommen.

NeMiB vertritt Perspektiven und Interessen von Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung auf politischer Ebene. Der Verein wirkt bei der Gestaltung der Leitlinien für Menschenrechte, Teilhabe und Entwicklungspolitik mit und ist gegen Diskriminierung aktiv. NeMiB setzt sich außerdem für ein offenes, vielfältiges und solidarisches Brandenburg ohne Rassismus und Diskriminierung sowie für die globale Gerechtigkeit ein – und berät nicht zuletzt Migrant*innenorganisationen.

2. Welche Aktivitäten deines Vereines aus den Jahren 2020 und 2021 möchtest du besonders hervorheben?

Seit Januar 2020 leite ich ein Projekt mit dem Namen INSIST. INSIST wird in Kooperation mit VMDO e. V. umgesetzt. Sein Ziel besteht darin, Vereine und Initiativen mit und ohne Migrationsgeschichte zusammenzubringen und Engagement von Migrant*innenvereinen sichtbar zu machen. Wir wollen die Kooperation auf Augenhöhe fördern und Kooperationsmöglichkeiten stärken.

Das Projekt „Mobilität ohne Diskriminierung“ wird in Kooperation mit dem Unternehmen VCD umgesetzt. Mobilität bedeutet gesellschaftliche Teilhabe. Doch aufgrund von Diskriminierung oder Gewalt wird die Mobilität vieler Menschen eingeschränkt. Wir wollen vollen Zugang zum öffentlichen Raum ermöglichen. Dafür hat sich im Land Brandenburg ein Netzwerk von verschiedenen Organisationen aufgebaut, die sich für die Mobilität ohne Diskriminierung einsetzen. NeMiB e. V. setzt sich für Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte besonders aus der POC-Perspektive ein.

3. Wie hat dein Projekt zur Teilhabe von Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte beigetragen?

Über das INSIST Projekt haben wir bei der Entwicklung eines Forderungskatalogs mitgewirkt. Dieser Katalog ist sowohl an Politiker*innen als auch an Verkehrsbetriebe und weitere Institutionen gerichtet, weil wir das Thema „Mobilität ohne Diskriminierung“ vorantreiben wollen. Eines unserer Ziele ist, ein Programm gegen verschiedene Diskriminierungsarten zu fördern – sowie gegen ein Antidiskriminierungsgesetz im Land Brandenburg zu klagen. Am 18. September 2021 organisieren wir eine Veranstaltung, auf der verschiedene migrantische und nicht migrantische Vereine und Initiativen im Land Brandenburg sich vorstellen, über ihre Projekte, Hindernisse, aber auch Chancen erzählen – und dabei Kooperationsideen entwickelt werden können.

4. Warum ist die Teilhabe von allen Menschen wichtig? Teilhabechancen – was verstehst du darunter?

Ich habe das Gefühl, dass wir Migrant*innen außerhalb der deutschen Gesellschaft leben. Sagen wir so: Mein Eindruck ist, dass unser Zugang zu verschiedenen Bereichen nicht der gleiche ist wie für Personen, die hier geboren sind. Es existiert in diesem Bereich eine Vielzahl an Problemen. Zum Beispiel leben Menschen mit Fluchterfahrung in den Gemeinschaftsunterkünften ohne Internet, was in der Corona-Zeit die gesellschaftliche Teilhabe stark eingrenzt. Manche Kinder konnten nicht weiter am Schulunterricht teilnehmen, weil sie weder einen Computer noch einen Internetzugang zu Hause hatten.

Für mich persönlich ergibt sich Teilhabe auf allen möglichen Ebenen. Dabei reden wir über den Aufbau von Freundschaften, den Zugang zum Internet – wie auch den Zugang zum Wohn- und Arbeitsmarkt und zur Politik. Wenn wir nicht wählen gehen dürfen, heißt das für mich automatisch, dass unsere Bedürfnisse von der aktuellen Politik in Deutschland gar nicht wahrgenommen werden. Die Politiker*innen machen also ihre Wahlkampagnen und schreiben Regierungsprogramme für eine Gesellschaft, in der Migrant*innen nicht existieren.

5. Wie kann man die Teilhabe von Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte verbessern?

Das Internet wird oft unterschätzt. Deutschland ist gerade stark auf die Digitalisierung fokussiert. Leider ist dabei noch kein Internetzugang für die Gemeinschaftsunterkünfte mit eingeplant. Das Internet würde viele Türen zur Teilhabe eröffnen. Eine andere große Chance entsteht auch, wenn wir als Migrant*innen uns in Selbsthilfegruppen, Initiativen und Vereinen organisieren. Wenn wir organisiert auftreten, können wir unsere Interessen besser an die Öffentlichkeit bringen. Die Bedürfnisse von Gruppen werden wahrgenommen. Wir machen uns selbst sichtbar.
Wichtig wäre für mich auch, dass wir wählen dürften. Das ist aber ein langer Prozess. Dann werden wir als Teil der Gesellschaft wahrgenommen. Die Beherrschung der deutschen Sprache ist natürlich für die gesellschaftliche Teilhabe wichtig. Es sollen aber auch mehr interkulturelle Projekte und Programme für den Austausch zwischen der deutschen Bevölkerung und Migrant*innen organisiert werden.

6. Was würdest du Bundespolitiker*innen sagen, wenn du die Möglichkeit dazu hättest?

Ich würde ihnen sagen, dass man die Digitalisierung dringend vorantreiben muss – auch mit oder für die Menschen in den Gemeinschaftsunterkünften. Der erste Schritt besteht dabei in der Einrichtung des Internetzugangs, denn ohne diesen bleiben für viele von uns die Türen zur Gesellschaft geschlossen. Weiterhin würde ich ihnen auch mit auf den Weg geben, dass die Verkehrsanbindungen auf der Landesebene sehr knapp sind und schnellstens ausgeweitet werden sollen.

Damit nicht genug: Darüber hinaus würde ich fordern, dass für das ehrenamtliche Engagement mehr finanzielle Mittel eingeplant werden müssen, etwa in Form höherer Aufwandsentschädigungen. Viele Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung haben keine finanziellen Vorteile. Deshalb kann man ohne finanzielle Unterstützung von Migrant*innen nicht verlangen, dass sie sich aktiv ehrenamtlich engagieren. Ansonsten ist es auch in migrantischen Organisationen oft schwierig, die Vertretung von bestimmten Stimmen und Realitäten zu ermöglichen. Dies führt dazu, dass bei Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung in Deutschland verschiedene Realitäten, aber auch Spaltung entstehen – die aufgrund des Aufenthaltsstatus und weiterer Hintergründe auftauchen.