Alltagsrassismus in der Corona-Krise

Bundesweit in mehr als 30 Städten aktiv: Seit dem Jahr 2016 läuft das NeMO-Projekt „Aktive aus Migrant*innenorganisationen in der Flüchtlingsarbeit“ (samo.fa). Sein großer Mehrwert: Es ist nahe an Menschen mit Flucht- und Einwanderungsgeschichte. Das Thema Rassismus wird dabei zentral aufgearbeitet.

In der Corona-Pandemie nehmen Alltagsrassismus und strukturelle Diskriminierung zu. 
Zu Beginn der Corona-Krise hat die Zahl der Hass-Mails in den sozialen Medien zugenommen. Die Aussage aus einem samo.fa Standort steht für sich selbst: Es könne kein Anstieg berichtet werden. Alles sei so schlimm wie immer.

Bisher – so das vorläufige Ergebnis – wird kein dramatischer Anstieg manifester rassistischer Angriffe dokumentiert. Eine Erklärung dafür lautet: Der Lockdown und die damit verbundenen sozialen Abstände haben wie eine Art Tiefschlaf gewirkt.

Die Angriffe, die beobachtet oder auch dokumentiert sind, sprechen allerdings eine andere Sprache: In Verbindung mit der Corona-Krise zielt rassistische Diskriminierung vor allem auf Menschen mit Einwanderungsgeschichte und vor allem asiatisch gelesene Menschen. Sie seien für vermeintliche Gefährdungen des deutschen „Wir“ verantwortlich.

Es geht hier also um viel mehr als um Vorurteile oder Unwissenheit: Rassismus rechtfertigt und betreibt Diskriminierung und Ausgrenzung. Dabei trifft – in ziemlich umfassenden Sinne – Alltagsrassismus besonders bestimmte Menschen: jene, die man aufgrund den ihnen zugeschriebenen Merkmalen und Eigenschaften oder dem bloßen Augenschein nach mit einer gesellschaftlichen Problemlage in Verbindung bringen will.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass zunächst vor allem Menschen betroffen sind, denen ein asiatischer Hintergrund zugeschrieben wird. Diese Fälle scheinen sich zu häufen. Da aber Alltagsrassismus oftmals, so verletzend und bedrohlich er ist, gewissermaßen „nebenbei“ geschieht, scheint die Dunkelziffer weit größer zu sein.

Nur drei Beispiele aus dem Alltag der Menschen: Ein vietnamesischer Mann, der mit Mundmaske in der U-Bahn fuhr, berichtet, er sei als „Corona-Chinese“ beschimpft worden. Im Supermarkt wird einkaufenden Frauen nachgerufen: „Da! Corona kommt!“ Und eine Familie aus Vietnam wird gebeten, ihre Kinder nicht mehr in die Schule zu schicken.

Es sind vor allem verbale Übergriffe, die zugenommen haben. Aber auch eine demonstrative räumliche Distanzierung wird deutlicher. So berichtet der „Tagesspiegel“ am 18.4.2020 über die Erfahrungen einer deutschen Frau mit vietnamesischer Familienherkunft: „Zunächst fiel es ihr in der U-Bahn auf. Menschen, die sich nach dem Einsteigen zu ihr setzten oder direkt gegenüber, standen wieder auf, sobald sie bemerkten, wer da neben ihr war. Wechselten den Wagen, stellten sich zur Not ins Fahrradabteil, bloß, um ihr nicht zu nah sein zu müssen. Beim ersten Mal hielt sie das für Zufall. Nach dem fünften Mal nicht mehr.“  Damit nicht genug: Auch sind, wird berichtet, zum Beispiel Italiener*innen zunehmend Anfeindungen ausgesetzt.

Nimmt man Beobachtungen vor Ort vor Beginn der Corona-Krise hinzu, dann ist eines zu befürchten: Völkisch-rassistische Ressentiments nehmen wieder zu. Gerade im langwierigen Corona-Exit-Prozess. Die Zielgruppen dieser Anfeindungen? Geflüchtete Menschen oder etwa Mitbürger*innen muslimischen Glaubens. Es wundert nicht, dass die AfD schon jetzt gegen die Aufnahme von Kindern aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln Front macht.
Ein besonders widerwärtiger Fall rassistischer Verbalgewalt wird von samo.fa aus Hannover übermittelt: In der hannoverschen Südstadt wurden Briefe verteilt, die als Absender eine „Nationalsozialistische Offensive“ nannten – und sich an Migrant*innen mit der Ankündigung wandten, sie „zu beseitigen.“ Die Polizei ermittelte. Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ vom 5.5.2020 zitierte daraufhin einen Polizeisprecher: Im Text der Briefe werde „massiv fremdenfeindlich gegen Ausländer gehetzt.“

Als Reaktion auf die rechtsterroristischen Morde in Hanau hatte die Bundesregierung einen Kabinettsausschuss „zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“ gebildet. Der Bundesregierung sind die Entwicklungen der letzten Wochen bekannt. In seiner Positionierung zur „Corona-Krise“ vom 8. April 2020 hat der Bundesverband Netzwerke von Migrant*innenorganisationen festgestellt: „Das Zurückdrängen von Rassismus und völkischem Nationalismus bleibt auch – oder gerade – in dieser Krise eine zentrale Herausforderung.“

Der Kabinettsausschuss hat bisher noch nicht getagt. Auf Anfragen von Bundestagsabgeordneten ließ der Bundesinnenminister nach Darstellung des „Tagesspiegel“ vom 4. Mai 2020 wissen, dass die erste Sitzung des Kabinettsausschusses zeitnah stattfinden werde.