Migrant*innenorganisationen vor Ort: „Nachhilfe“ allein reicht nicht!

Mit „Bildung und Lebensfreude“ aus der Corona-Krise. Eine Antwort auf Frau Karliczek.

 

Die Tagesschau vom 27. März 2021 berichtet: „Damit Schüler durch die Corona-Pandemie nicht den Anschluss verlieren, will Bildungsministerin Anja Karliczek eine Milliarde Euro für ein bundesweites Nachhilfeprogramm ausgeben. Dazu solle es am Ende dieses Schuljahres in allen Bundesländern Lernstandserhebungen in den Kernfächern geben, sagte die CDU-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe.” Dazu die Ministerin im Wortlaut: „20 bis 25 Prozent der Schüler haben vermutlich große Lernrückstände – vielleicht sogar dramatische.” Und weiter: „Wenn wir ein Nachhilfeprogramm für die Kernfächer auflegen, brauchen wir dazu etwa eine Milliarde Euro”, so die Ministerin.
Wir sagen: Es ist gut, dass endlich ein großes Programm auf den Weg gebracht wird, um dieser akuten Bildungsbenachteiligung entgegenzuwirken.
Dass die Corona-Krise mit ihren langen Phasen der Schulschließungen und des Distanz- oder Wechselunterrichts die Gefahr erheblicher Bildungsbenachteiligungen mit sich bringt, ist eine Erkenntnis, die sich weitgehend durchgesetzt hat. Schon im Mai 2020 hatte der Bundesverband Netzwerke von Migrant*innenorganisationen (NeMO) gewarnt: Kinder und Jugendliche aus Familien mit Einwanderungsgeschichte wie auch andere in sozialen Risikolagen werden in besonderer Weise davon betroffen sein (siehe unsere Stellungnahme vom 8.05.2020).

Aber es blieb nicht bei unseren Warnungen – wir haben auch gehandelt. So ist zum Beispiel der Bundesverband NeMO mit seinen mehr als 20 lokalen Verbünden und dem von ihm getragenen Projekt samo.fa durch zwei Aktionen aktiv geworden. Wir leisteten in diesem Rahmen Hilfe bei der Beschaffung von Endgeräten zum Distanzlernen und für eine bessere Kommunikation. Ergänzt wurde das Ganze durch vielfältige Aktionen wie „Sommer der Bildung und Lebensfreude“ und „Winter der Bildung und Lebensfreude".

Was kann aus den bisherigen Erfahrungen für das geplante Programm gelernt werden? 

Für die Mobilisierung von Lernbereitschaft und Lernwillen ist die lokale Ebene – dort, wo die Menschen leben – von entscheidender Bedeutung. Die Kommunen und ihre kommunale Koordinierung wie auch ihr kommunales Bildungsmanagement müssen besser ausgestattet werden. Konkret sollten sie künftig so unterstützt werden, dass sie in Kooperation mit vielen lokalen Partner*innen die nachholende Bildung gezielt an jene bringen, die diese besonders dringend brauchen. 

Insbesondere müssen auch Eltern mit einbezogen werden. Eltern nachholbedürftiger Kinder brauchen mehr Informationen über das Schulsystem und ihre Entscheidungsrechte. Sie benötigen Unterstützung und Ermutigung. Für jüngere Kinder empfehlen sich auch Eltern-Kind-Aktivitäten. Die Vereins- und Bildungsarbeit vor Ort zeigt: Mobile Kleingruppen außerhalb des engen schulischen Zusammenhangs bringen dabei viele Bildungsimpulse!

Migrant*innenorganisationen sind für diese „nachholende Bildung“ wichtig. Das gilt insbesondere für jene Organisationen, die als Verbünde herkunftsübergreifend viele verschiedene, auch kleinere Gemeinschaften erreichen. Sie sind nahe bei den Menschen und haben „einen direkten und vertrauensvollen Draht“ zu jenen, die in besonderer Weise negativ von den Corona-Folgen betroffen sein werden. Die gezielte Förderung der Zusammenarbeit zwischen kommunalem Bildungsmanagement und lokalen Migrant*innenorganisationen müsste eine tragende Säule des geplanten Programms sein.

Können Migrant*innenorganisationen Aufgaben übernehmen? 

Können sie auch Träger von Lern-und Bildungsprogrammen sein? Zweimal ja! Denn: Schon heute sind Migrant*innenorganisationen und ihre Verbünde anerkannte Bildungsträger. Oft sind sie in einem breiten Spektrum an Lern- und Bildungsangeboten für Kinder und Jugendliche aktiv. Bereits entwickelte lebensweltliche Unterstützungsangebote können daher ausgebaut und weiterentwickelt werden. Da die Corona-Krise und ihre Folgen eine ständige und praktische Herausforderung für Migrant*innenorganisationen vor Ort bedeutet, sind diese dadurch auch in der Lage, umgehend tätig zu werden.

Bildung und Lebensfreude steigern

Es liegt bereits eine erhebliche Expertise vor, die auch zu weiteren Vereinen und Verbünden transferiert werden kann. Vor allem stehen sie für eine lebendige Verbindung von Lernen, Mut Machen und Lebensfreude. Lokale Migrant*innenorganisationen können im geplanten Programm also wichtige Aufgaben übernehmen – vor allem auch, um Frustrationen aufzufangen und um die Freude am Lernen in schwierigen Zeiten zu erhalten.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Das Programm braucht in Ausrichtung und Umsetzung eine andere Akzentuierung. Nachhilfe allein reicht nicht! Wir müssen mit Bildung und Lebensfreude aus der Corona-Krise hervorgehen!