Keine Entwarnung für ganz viele Menschen

Migrant*innen sind die großen Verlierer der Corona-Krise – sei es bei Bildung, sozialen Belangen oder Gesundheit. Migrant*innenorganisationen könnten die Folgen abmildern, werden von der Politik aber oft übersehen. So sieht es Wilfried Kruse, wie er im MiGAZIN schreibt.

Mit dem Ausstiegsfahrplan aus den strikten Corona-Maßnahmen gibt es bei Vielen ein Aufatmen. Dies aber mit Entwarnung gleichzusetzen, wäre fatal. Wer jetzt zu „business as usual“ übergeht, nimmt in Kauf, dass sich die sozialen Ungleichheiten weiter verschärfen, die mit dem Beginn der Corona-Krise ohnehin krasser wurden. Bereits im April 2020 hat der Bundesverband Netzwerke von Migrant*innenorganisationen (NeMO) vor den gesundheitlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise gewarnt – auch eines sich verstärkenden Rassismus. 

Auch gesundheitliche Risiken sind ungleich verteilt
Was vor knapp zwei Jahren befürchtet wurde, ist leider in erheblichem Umfange eingetreten, und zwar nicht nur hinsichtlich negativer sozialer Folgen, z. B. für Kinder und Jugendliche in der Bildung, die durch das lahmende Sofortprogramm bei Weitem nicht aufgefangen werden, oder für Menschen in prekärer Beschäftigung oder für Geflüchtete in den Gemeinschaftsunterkünften. Vielmehr zeigt sich, dass auch die gesundheitlichen Risiken für Menschen in schwierigen sozialen Lagen größer sind, und hierzu zählen oftmals auch Menschen mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte. Dies bestätigt eine aktuelle RKI-Studie, die sich zugleich gegen ein weit verbreitetes Vorurteil wendet: Die Impfquote ist niedriger, aber nicht die Impfbereitschaft.

Erreichbarkeit und Vertrauen
Es geht also um Erreichbarkeit: Wir wissen aus der Praxis von den anhaltenden Schwierigkeiten, sozial benachteiligte und damit „verletzliche“ Gruppen zu kontaktieren, von Verzweiflung und Not, aber auch von Erfolgen und Lichtblicken. Die größte Hilfe bei der Arbeit vor Ort ist, dass Aktive aus Migrant*innenorganisationen einen Vertrauensbonus besitzen, der unverzichtbar ist, um insbesondere Menschen zu erreichen, denen Vieles bei uns noch fremd ist oder die aufgrund verschiedener Erfahrungen oder problematischer Informationen auch auf Distanz zu offiziellen Stellen und Informationen sind. Mittlerweile betonen nahezu alle Corona-Expert*innen, was Migrant*innenorganisationen seit Beginn der Krise für notwendig halten: eine viel stärker zielgruppenbezogene Aufklärung und Unterstützung. Auch die RKI-Studie plädiert dafür.

Migrant*innenorganisationen: unermüdlich, wenig anerkannt
Erreichbarkeit und Vertrauen sind der Schlüssel und damit unverzichtbar. Seit Beginn der Corona-Krise machen Migrant*innenorganisationen das Angebot zu einer engen Zusammenarbeit. Nur selten ging die Politik auf dieses Angebot ein; auch ein erneuter Vorschlag an den neuen Gesundheitsminister und die Corona-Sprecher*innen der Ampelkoalition blieb bisher ohne Antwort. Diese Zurückhaltung ist kaum zu verstehen. Müssen nicht alle Optionen genutzt werden, damit sich soziale Ungleichheit und damit auch die Ungleichheit bei Gesundheit nicht weiter verschärft?

Der gesamte Beitrag ist erschienen im Magazin über Migration und Rassismus in Deutschland, dem MiGAZIN.
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