Positionierung: Anti-Rassismus und Anti-Diskriminierung

Der Koalitionsvertrag der „Ampel“ unterscheidet sich von seinen Vorgängern vor allem im Feld von Anti-Rassismus, Bekämpfung des Rechtsextremismus und Anti-Diskriminierung klar und deutlich; viele Forderungen aus der Mitte der Gesellschaft wurden aufgegriffen – jedenfalls als Versprechen und Ankündigung.

Das wird von wichtigen zivilgesellschaftlichen Akteuren, wie der Amadeu-Antonio-Stiftung, und von Zusammenschlüssen von Migrant*innenOrganisationen, wie der BKMO, positiv hervorgehoben. Auch der BV NeMO sieht, dass hier ein neues Kapitel in einem Feld, auf dem mit Hass, Menschenfeindlichkeit und Verachtung Zusammenleben und Demokratie vergiftet werden, aufgeschlagen werden kann.

Die einschlägigen Passagen aus der Koalitionsvereinbarung lauten zum Anti-Rassismus lauten: „Wir werden die Arbeit zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus fortsetzen, inhaltlich weiterentwickeln und sie nachhaltig finanziell absichern. Wir entwickeln eine
Strategie für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Demokratieförderung sowie Extremismusprävention. Wir stärken die Arbeit gegen Hass im Netz und Verschwörungsideologien.“ Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit soll bekämpft, die UNDekade für Menschen afrikanischer Herkunft vorangetrieben, der Rassismusmonitor verstärkt, eine Anti-Rassismus-Beauftragte bzw. einen Anti-Rassismus-Beauftragten
eingesetzt, eine unabhängige Monitoring- und Beratungsstelle für antiziganistische Vorfälle etabliert und eine Antiziganismus-Beauftragte bzw. ein Antiziganismus-Beauftragter eingesetzt werden.

Als einschlägige Passagen aus der Koalitionsvereinbarung können angesehen werden: „Wir wollen den Gleichbehandlungsartikel des Grundgesetzes(Artikel 3 Absatz 3 GG) um ein Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Identität ergänzen und den Begriff „Rasse“ im
Grundgesetz ersetzen.“ Die Unabhängigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes soll sichergestellt und das Netzwerk zivilgesellschaftlicher Beratungsstellen gegen Diskriminierung flächendeckend ausgebaut und nachhaltig finanziert werden.
„Die Institutionen des Staates stehen in besonderer Verantwortung, an jeder Stelle fest und zweifelsfrei auf der Grundlage unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu agieren und jede Form der gruppenbezogenen Diskriminierung entschieden entgegenzutreten. Dafür ist Selbstkontrolle im Sinne von Supervision und Innerer Führung ebenso wichtig wie unabhängige wissenschaftliche Erkenntnisse über die innere Verfasstheit von Einrichtungen und ihren Beschäftigten. Wir wollen entsprechende Studien fördern.“

… und kritische Einwände und Anmerkungen


Schon diese Aussagen über die Verantwortung des Staates auch im Inneren seiner Verwaltungen und Institutionen sind angesichts der vielfachen Kritik an diskriminierendem Handeln staatlicher Stellen mehr als vage: um dies abzustellen, wird „Selbstkontrolle“ kaum ausreichen. Keine Erwähnung finden Rechtsextreme in öffentlichem Dienst, Polizei & Bundeswehr.

Zwar sollen die vom Kabinettsausschuss der vorigen Regierung beschlossenen Maßnahmen zur Bekämpfung von Anti-Rassismus und Rechtsradikalismus nun zügig umgesetzt werden; es fehlt aber (immer noch) ein sachlich-zeitlicher Umsetzungsplan. Die schon im Sommer 2020 von BV NeMO ausgestellte Forderung nach einem Sofortprogramm, dass die dringendsten Maßnahmen bündelt und nach einer klaren und definierten Beteiligung von Migrant*innenOrganisationen ist nicht aufgegriffen worden. Die ergänzende Forderung des BKMO nach einer verbindlichen Definition von strukturellem und institutionellem Rassismus sowie Alltagsrassismus basierend auf internationalen Standards teilen wir.

Mit dem Demokratiefördergesetz soll endlich und zügig die zivilgesellschaftliche Präventionsund Demokratiearbeit, die seit Jahren von einer aktiven Zivilgesellschaft in so vielen Bereichen geleistet wird, rechtlich wie finanziell abgesichert werden. Unklar bleiben die Kernpunkte für dieses Gesetz, insbesondere eben genau, was die Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen betrifft. Das dem gesamten Text aber spricht immer wieder die überkommene Vorstellung einer Staatsorientierung. Von daher aus Mitgliedsverbünden geäußerte Sorge, die bisher erfolgreich aktiven Initiativen und Organisationen könnte keine wesentliche Stärkung erfahren, nicht von der Hand zu weisen. Dies muss weiter beobachtet werden. Das gilt auch für die Ankündigung, ein Netzwerk anti-rassistischer Beratungsstellen auszubauen und zu stabilisieren, aber auch hier bleibt deren Trägerschaft unklar.

Keine Rede ist von den bis heute nicht vollständig umgesetzten Empfehlungen der NSUUntersuchungsausschüsse. Stattdessen wird die Errichtung eines NSU-Gedenkortes und eines Archivs zu Rechtsterrorismus angekündigt. Zuzustimmen ist der Amadeu-Antonio-Stiftung:
„Hier wurde eine Chance vertan.“

Aus einem Mitgliedsverbund heißt es: „Insgesamt wird der Koalitionsvertrag als ein „Manuskript mit guten Absichten“ gewertet, durch das jedoch keinen umfassenden Paradigmenwechsel einleiten wird, sondern vielmehr eine Fortführung der bisherigen Politik mit einzelnen Neuerungen darstellt. … Aus diesem Grund wird die Notwendigkeit verstärkt hervorgehoben, die lokalen Parteien zukünftig eng zu begleiten und mitzuverfolgen, ob die angekündigten Reformen tatsächlich umgesetzt wurden.“ Insbesondere der letzte Punkt verweist auf ein großes Defizit der Koalitionsvereinbarung: die Bedeutung der Kommunen und die Rolle von Migrant*innen-Organisationen finden kaum Erwähnung; damit bleibt aber eine zentrale Handlungsebene für die Lebensverhältnisse der Menschen und die Auseinandersetzung mit Rassismus und Diskriminierung und mit den Migrant*innenOrganisationen ein in der Einwanderungsgesellschaft zentraler Akteur kaum bedacht.

100 Tage


100 Tage sind kleine lange Zeit, um wirksam Weichen zu stellen. Außerdem bestimmt nun seit Wochen der Ukraine-Krieg die Agenda. Hervorzuheben ist aber, dass beim diesjährigen Gedenken an den Terroranschlag von Hanau erstmals eine Bundesministerin anwesend war.
Das ist von wichtiger symbolischer Bedeutung, darf aber nicht darüber hinwegsehen lassen, dass die Aufklärung nun endlich und rückhaltlos passieren muss. Diese skandalöse Verdunkelung von Zusammenhängen und Sachverhalten hat dem Vertrauen in den Rechtsstaat großen Schaden zugefügt und vor allem auch bei Menschen mit Einwanderungsgeschichte die Befürchtung bestärkt, dass Recht nicht gleich Recht ist.

Zügig sind die Beauftragte für Anti-Rassismus und der Beauftragte für Anti-Ziganismus berufen worden. Das ist gut – und damit ist die Erwartung einer engen Zusammenarbeit mit den jeweiligen eigenen Organisationen verbunden ist und die Betroffenen eine Stimme erhalten.

Beunruhigung ruft bei uns hervor, dass jede Krise Rassismus aktualisiert: bei der Corona-Krise werden Menschen angegriffen, deren eine asiatische Herkunft zugeschrieben werden, bei der Ukraine-Krise Menschen, denen eine russische Herkunft zugeschrieben wird. Dies zeig erneut, wie tief verwurzelt der Rassismus in unserer Gesellschaft ist und wie dringend Aufklärung, Abwehr und – im Zweifel – auch strafrechtliche Verfolgung. Hier ist kein Aufschub akzeptabel. Wichtig ist, dass der Staat bei seinem eigenen Handeln die Zuschreibung von „Fremdheit“ vermeidet. Die Tatsache, dass an den EU-Grenzen zwischen Geflüchteten mit und ohne ukrainische Staatsbürgerschaft (zunächst?) unterschieden wurde, ist solch ein Vorgang. Es darf keine Unterscheidung in Geflüchtete erster und zweiter Klasse geben.

Unsere Forderungen
Unsere Zwischensichtung zeigt: Was in unserer Positionierung „10 Punkte für die ersten 100 Tage“ steht, hat weiterhin im Großen und Ganzen Gültigkeit:
„Rassismus ist tief in unserer Gesellschaft verankert. Das Anti-Rassismus-Programm der alten Bundesregierung ist bisher vor allem nur bedrucktes Papier. Die beschlossenen 89 Einzelmaßnahmen brauchen eine strategische und schlagkräftige Bündelung und Umsetzung. Wir fordern ein bundesweites Sofortprogramm unter aktiver Mitwirkung von Migrant*innenorganisationen „auf Augenhöhe“: flächendeckenden Ausbau von Antidiskriminierungs- bzw. Antirassismusstellen, Verabschiedung von Antidiskriminierungsgesetzen in allen Bundesländern, Überarbeitung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, Förderung und Stärkung von Antirassismusstellen auf der Landes- und Bundesebene mit Beteiligung von Migrant*innenorganisationen als Träger, eine bundesweite Aufklärungskampagne zu Rassismus, Förderung von geschützten Begegnungsräumen für Betroffene, Stärkung vorhandener Opferschutzorganisationen, rassismuskritische Bildung und Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte.“

Im Einzelnen fordern wir:

  • Die systematische und kontinuierliche Einbeziehung von Migrant*innenOrganisationen „auf Augenhöhe“ bei der Entwicklung und Umsetzung aller Maßnahmen gegen Rassismus, und auf allen Ebenen: im Bund, in den Ländern und in den Kommunen.
  • Eine so gute finanzielle und personelle Ausstattung der Anti-Rassismusbeauftragten, das ihre Arbeitsfähigkeit angesichts der immensen Aufgaben gesichert ist, und entsprechend Ressourcen für die Initiierung, Durchführung und Wirkungsüberprüfung anti-rassistischer Vorhaben.
  • Etablierung von flächendeckenden Antirassismusstellen in der Hand migrantischer Verbünde auf der lokalen Ebene
  • Ein bundesweites Beratungszentrum in migrantischer Trägerschaft
  • Der BV NeMO unterstützt auf Bundesebene die Forderung, eine neue Gemeinschaftsaufgabe im Sinne von Art. 91a GG „Gleichberechtigte Teilhabe, Chancengerechtigkeit und Integration“ im Grundgesetz zu verankern.
  • Der BV NeMO fordert Partizipationsgesetze in allen Bundesländern und auf Bundesebene an, die eine Gleichstellung aller Menschen in Deutschland durch eine gesetzliche Grundlage schützen, stützen und absichern.
  • Diversity-Strategien sollen in allen Einrichtungen verbindlich entwickelt, umgesetzt und unter Beteiligung der dort arbeitenden Menschen und den Nutzer*innen der Einrichtung auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Diversity-Strategien müssen Querschnittsaufgabe in allen Feldern kommunaler Politik sein.

(Stand 11. März)