Positionierung: Armut im Einwanderungsland Deutschland: Ein sozialer Skandal

Positionierung des Bundesverbands Netzwerke von Migrant*innenorganisationen 100 Tage und ein Jahr nach Bildung der neuen Bundesregierung anlässlich einer Fachkonferenz am 21.März 2023 in Köln-Porz

Armut bleibt ein großes Risiko in dieser Gesellschaft. Auch hiervon sind Menschen mit Einwanderungsgeschichte überdurchschnittlich stark betroffen. Die Benachteiligungen in allen Lebensbereichen tragen hierzu bei. Die Lage hat sich zugespitzt: Armutsgefährdung und Armut haben ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen, angetrieben durch Corona, die Energiekrise und die enorme Steigerung der Lebenshaltungskosten. Schon 2019 lag die Armutsgefährdungsquote bei Menschen mit Migrationshintergrund bei 27,8% und bei Menschen ohne Migrationshintergrund bei 11,7%. Besonders ausgeprägt sind die Risikolagen bei Altersarmut und bei Kinderarmut. Aus unseren Mitgliedsvereinen wird berichtet, dass für immer mehr Menschen in ihrem Umfeld Armut eine Bedrohung wird. Viele von ihnen haben einen Job und sind dennoch arm.

Armut gefährdet unsere Demokratie und unser vielfältiges Zusammenleben. Arme Menschen haben weniger Spielräume, sich aktiv an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Ihnen droht die soziale Isolation. Durch rassistische Versuche, Arme mit und ohne Migrationsgeschichte gegeneinander auszuspielen, wird das vielfältige Miteinander beeinträchtigt.

100 Tage und ein Jahr nach Bildung der neuen Regierung bleibt die Bilanz im Kampf gegen die Armut unbefriedigend. Die verschiedenen Maßnahmen und Beschlüsse zum Inflationsausgleich werden die Kostensteigerungen vor allem bei geringen Einkommen nicht wirklich abfangen können.

Zum Bürgergeld hatte Arbeitsminister Hubert Heil noch im Dezember 2022 erklärt, dies werde eine der größten Sozialreformen seit 20 Jahren sein. Die Unionsparteien setzten durch, dass die geplante halbjährige Vertrauenszeit gestrichen wurde und Sanktionen weiterhin vom ersten Tag der Arbeitslosigkeit an möglich sind. Dies aber war ein Kernstück, denn damit hätte ansatzweise das die Hartz-Gesetze prägende Klima von Misstrauen gegenüber Arbeitslosen ansatzweise überwunden werden können. Es bleibt im Großen und Ganzen beim etwas abgemilderten „Hartz-IV-Muster“. Die Erhöhung beim Regelsatz für Alleinstehende auf 502 Euro ist weit davon entfernt, armutsfest zu sein.

Die hohe Kinderarmut – nach neueren Studien handelt es sich um mindestens 3 Millionen Heranwachsende - macht eine Kindergrundsicherung dringend, die mehr ist als eine Bündelung bisheriger Maßnahmen, sondern effektiv zu einer Verbesserung führen muss. Dieses  - so Familienministerin Lisa Paus – „wichtigste sozialpolitische Vorhaben dieser Regierung“ steckt im Koalitionsstreit fest.

Vor Ort sind für die Unterstützung von Menschen, die arm oder armutsgefährdet sind, sind viele auch Migrantenvereine ehrenamtlich unermüdlich tätig - und dennoch reicht dies alles nicht aus. Die Tafeln, zum Beispiel, kommen an ihre Grenzen, und viele andere, um die größte Not abzumildern. Dieses Engagement ist unverzichtbar und muss gefördert werden. Hilfe in der Armut ist lebenswichtig, aber dies ist noch kein Weg aus der Armut heraus. Es geht darum, das Alltagsleben der Menschen armutsfest werden zu können und vor allem, Wege aus der Armut zu öffnen.

Wir fordern:

  • eine bundesweite und umfassende Strategie mit einem konkreten Finanzierungs- und Zeitplan für das Erreichen und die Sicherung armutsfester Lebensverhältnisse;
  • eine Strategie mit Blick auf die soziale Ungleichheit in der Einwanderungsgesellschaft, unter aktiver Beteiligung der Migrant*innenorganisationen, weil sie nahe bei den Menschen sind;
  • Bundes- und Landes-Strategien, die ihre wirksame Basis auf der kommunalen Ebene haben- dort, wo die Menschen leben -, und bürger*innenschaftliches Engagement gegen Armut und Ausgrenzung und lokale Netzwerke zur Armutsprävention fördern;
  • kommunale Strategien für Wege aus der Armut als wichtige Komponente eines umfassenden Kampfes gegen Armut, unter wirksamer Beteiligung aller zivilgesellschaftlichen Akteure, die sich gegen Armut und für Arme engagieren, unter aktivem Einschluss von Migrant*innenorganisationen. 

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