Zum Asyl-Beschluss der EU-Mitgliedsstaaten: Bei unseren Menschen vor Ort: Entsetzen und Enttäuschung!

Anfang Juni stimmt die Bundesregierung mit der Mehrheit der EU-Staaten für eine massive Verschärfung des Asylrechts.

Wie hieß es im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vom Dezember 2021? »Wir setzen uns ein für eine EU, die ihre Werte und ihre Rechtsstaatlichkeit nach innen wie außen schützt und entschlossen für sie eintritt« (S. 131). Weiter bekennt sich die Koalition zur »humanitären Verantwortung und den Verpflichtungen, die sich aus dem Grundgesetz, der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem Europarecht ergeben« (S. 138).

Kernstück der am 8./9.Juni 2023 in Luxemburg gefassten Beschlüsse zum „Gemeinsamen Europäischen Asylsystem“(GEAS)sind sogenannte Grenzverfahren. Asylsuchende aus Staaten mit einer Anerkennungsquote der Asylanträge von unter 20 Prozent sollen in besagte Grenzverfahren kommen. Dies ist nicht das vollwertige Asylverfahren nach Artikel 18 der EU Grundrechtscharta, sondern es wird ein unvollständiges Vorprüfungsverfahren eingeführt, für das die Fiktion herhalten muss, dass die schutzsuchende Person noch nicht eingereist ist. 

Das Grenzverfahren soll im Rahmen einer zunächst bis zu 12 Wochen andauernden Inhaftierung stattfinden. Von der Inhaftierung in Lager sollen nur minderjährige Schutzsuchende verschont bleiben; Innenministerin Faeser setzte ihren Wunsch, dass auch Familien mit Kindern verschont werden, nicht durch. Werden die Lager Realität, werden dort auch Kinder inhaftiert werden.

Ziel ist es offenbar, möglichst viele, die Schutz suchen, in sogenannte „sichere Drittstaaten“ abschieben zu können. Sichere Drittstaaten müssen nur noch in Teilen sicher sein, sollen jedoch gleichzeitig die Einhaltung der Menschenrechte garantieren - inwiefern diese Garantien kontrolliert werden sollen, bleibt offen. Von der Sicherung humanitärer Seenotrettung ist keine Rede. Damit wird das Recht auf Asyl stark eingeschränkt, wenn nicht in vielen Fällen ausgehebelt. Die Einrichtung von Hochsicherheitslagern, wie bereits auf griechischen Inseln geschehen, hat mit der von der Koalition versprochenen humanen Asylpolitik nichts zu tun, im krassen Gegenteil. Zynisch wird von einer einheitlichen und solidarischen Lösung in der Asylpolitik gesprochen – wo diese Solidarität am Ende bleibt ist unklar, nur bei den Geflüchteten ist sie sicher nicht.

Viele Menschen, die sich in den 800 Vereinen der 20 lokalen Verbünde des Bundesverbands NeMO engagieren, sind selbst als Geflüchtete hergekommen oder haben Verwandte und Freund*innen, die in ihrem Leben schon einmal oder mehrmals auf der Flucht waren. Sie wissen, was dies bedeutet und sie wissen auch: niemand verlässt fluchtartig freiwillig sein oder ihr Land, sondern immer aus einer meist lebensbedrohlichen Notlage.

Gerade deshalb engagieren sich viele unter Ihnen ehrenamtlich und solidarisch in der Geflüchtetenarbeit, übrigens auch in Projekten, die von der Bundesregierung gefördert werden. Sie haben dies trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge auch in der festen Überzeugung getan, dass Deutschland – nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen Geschichte menschenwürdige Asylbedingungen als ein Grundrecht aufrechterhält und dies auch in der EU zur Geltung bringt. Entsprechende Formulierungen im Koalitionsvertrag der Ampel gaben einen gewissen Anlass zur Hoffnung. Dass die Bundesregierung nun diese Entscheidung der EU mitträgt, setzt nicht nur diejenigen, die auf der Flucht sind, noch unerträglicheren Verhältnissen aus als in der Vergangenheit, sondern es ist zugleich eine massive Beschädigung der Grundwerte der Einwanderungsgesellschaft Deutschland. 

Dieser Asylbeschluss ist nicht nur schrecklich für die Menschen, die auf der Flucht sind, sondern auch schädlich für das Zusammenleben in Deutschland. Und es ist ein Schlag ins Gesicht für alle diejenigen, die davon überzeugt waren, dass der Artikel 1 des Grundgesetzes gilt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dieser Beschluss zeigt: Sie ist nur unantastbar, solange man nicht auf der Flucht ist.

Der Bundesverband NeMO fordert eine humane und antirassistische Asylpolitik sowohl im
Inland als auch in der EU, die Menschenrechte für alle garantiert: Es darf keine Geflüchteten
erster und zweiter Klasse geben! 

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